Die Communautè de Taizé (Brüdergemeinschaft von Taizé, gegründet von Frère Roger) besteht nunmehr 70 Jahre. Ende August 1940 verließ der junge reformierte Schweizer Theologe Roger Louis Schütz-Marsauche sein sicheres Heimatland und fuhr mit dem Fahrrad nach Burgund. [Dabei fällt mir unwillkürlich Abrahams Berufung ein: „Breche auf, verlasse deine liebgewordene Umgebung und deine bisherigen Gewohnheiten und gehe in ein Land, dass ich dir zeigen werde“].
Rogers Traum: Die Gründung einer christlichen Lebensgemeinschaft als sichtbares, gelebtes Zeichen der Versöhnung, auch zwischen den Konfessionen.
In dem kleinen Dorf Taizé kaufte Roger Schütz ein altes Bauernhaus. Zusammen mit seiner Schwester beherbergte er dort Juden und andere Flüchtlinge. 1942 mußten die Geschwister vor der Gestapo fliehen, kehrten aber 1944 mit Freunden zurück. Zunächst kümmerten sie sich hauptsächlich um Kriegswaisen. Zu den Gottesdiensten wurden aber auch deutsche Kriegsgefangene aus einem nahegelegenen Lager eingeladen.
An Ostern 1949 wurde die Gemeinschaft offiziell gegründet: sieben Männer, alle aus reformatorischen Kirchen, versprachen Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam [entsprechend der jahrhundertealten Mönchstradition; der in der katholischen Kirche oft kritisierte Zölibat hat sich in der Communautè bis heute – scheinbar wie selbstverständlich – bewährt.] Ziel der Gemeinschaft war und ist es, ein Leben nach den Maßstäben der Bergpredigt zu führen. Dies zeigt sich bis heute in der Identifikation mit den Ärmsten der Armen – einige Brüder leben (zumindest zeitweise) zusammen mit ihnen unter den gleichen Bedingungen in Asien, Afrika und Lateinamerika – und in der Versöhnungsarbeit zwischen Nationen. Seit 1969 leben mit Erlaubnis des Erzbischofs von Paris auch katholische Brüder in Taizé. Sie machen heute gut ein Drittel der ca. 130 Brüder aus. Spenden und Schenkungen werden abgelehnt. Die Brüder bestreiten ihren Lebensunterhalt und was sie zum Teilen mit anderen brauchen, durch die Einkünfte aus eigener Arbeit.
Dass Versöhnung konkret praktiziert wird, bewies die Communautè nach dem Mord an Frère Roger, der im August 2005 während des Gebets von einer geistig verwirrten Frau erstochen wurde: Drei Jahre später war es dem Nachfolger Frère Rogers – Frère Alois – ein Bedürfnis, die Mutter der Mörderin in Rumänien zu treffen und mit ihr – einer sehr gläubigen Frau – zu beten. Diese lebt allein ohne Familienangehörige. Gemeinsam konnten sie ihre Tochter Luminica der Vergebung Gottes anvertrauen.
Frère Alois charakterisiert seinen Vorgänger so: Nach dem Abendgebet blieb Frere Roger in der Kirche, oft bis spät in die Nacht. Die Gesänge wurden weitergesungen, und er hörte allen zu, die zu ihm kamen. „Zuhören, nicht Ratschläge geben“, pflegte er zu sagen. Zuhören, damit das Gegenüber selbst die Spur Gottes in seinem Leben entdecken kann. Für ihn war das sozusagen Teil des Gebetes, sich Gott zuzuwenden – und eben auch den Menschen. Er machte das mit derselben Leidenschaft während der Anfangszeit mit einer Hand voll Besuchern in der kleinen Dorfkirche wie unter den Tausenden, die in späteren Jahren die Kirche der Versöhnung füllten.
Was ist die Anziehungskraft dieses schlichten Dorfes Taize ohne Komfort? Christian Feldmann schreibt1 : „Die Brüder haben kein Patentrezept für die Probleme der Welt, sie liefern kein kompaktes Aktionsprogramm. Taizé ist eine Bewegung ohne Statuten und Mitgliedsbuch, ….keine spirituelle Servicestation, kein Wellness-Center für die Seele, sondern ein Ort, wo man selbst etwas tun muß. Dennoch haben sich überall auf der Welt Menschen – besonders junge Menschen – in Taizé verliebt. Zwischen drei- und sechstausend kommen im Sommer jede Woche…sie hocken, sitzen, knien auf dem einfachen Teppichboden der Versöhnungskirche…beten in allen Sprachen…“.
Charakteristisch sind die „Gesänge aus Taizé“, knappe Bibelsätze oder Texte von Heiligen, kombiniert mit eingängigen Melodien, die in der ständigen Wiederholung zum meditativen Gebet führen („Nade te turbe, nada te espante, todo se pasa…solo Dios basta“ – Nichts beunruhige und ängstige dich, alles vergeht…Gott allein genügt“; „Veni Sancte Spiritus“ – Komm, Heiliger Geist).
Dieses ‚Veni sancte Spiritus‘ (ein Urschrei der Seele nach dem lebendigen Gott) ist auch kennzeichnend für geistlichen Aufbrüche, die Ende der 1960er Jahre begannen.
„Viele Leute, die die Anfänge der katholischen Charismatischen Erneuerung 1967 betrachten, erinnern sich an das Gebet von Papst Johannes XXIII zu Beginn des zweiten Vatikanischen Konzils. Sie sehen die Charismatische Erneuerung als eine Erhörung des Gebets des heiligen Vaters um ein neues Pfingsten:
Erneuere in unserer Zeit Deine Pfingstwunder. Gewähre der heiligen Kirche, dass sie mit Maria, der Mutter Jesu, einmütig und inständig im Gebet ausharre unter der Führung des heiligen Petrus das Reich des göttlichen Erlösers ausbreite, das Reich der Wahrheit und der Gerechtigkeit, das Reich der Liebe und des Friedens. Amen“2
Wenn gleich in Taizé nicht die Geistesgaben sichtbar wurden wie in der Charismatischen Erneuerung (Heilung, Zungenrede, Prophetie,…), so ist dieser Ort doch durch das Wirken des Geistes geprägt. Der heilige Geist wirkt eben so, wie ER will und nicht unbedingt so, wie manche es ihm vorschreiben wollen. Wir haben daher auch kein Recht, den heiligen Geist zu kritisieren, wenn sich Phänomene zeigen, die nicht jedem „gefallen“ (‚Ruhen im Geist‘, Zungenrede, körperliche Heilungen). Gerade bei körperlichen Heilungen regen sich sofort Protest und Zweifel. Oder es wird gleich argumentiert, dass auch der Teufel Wunder wirken könne.
„…wie ein neues Pfingsten“ – das Gebet von Johannes XIII zur Erneuerung der Pfingstwunder ist auch heute höchst aktuell, nicht zuletzt deswegen, weil es durch die permanente Auflehnung gegen den Geist Gottes noch nicht zu einem größeren Durchbruch in der Kirche gekommen ist. – Heinz Josef Ernst
1Christian Feldmann: „Frère Roger, Taizé – Gelebtes Vertrauen“, Herder-Verlag; 2Patti Gallagher Mansfield: „Wie ein neues Pfingsten“, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach