Bereit sein für den Tag des Herrn
Aus dem 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher – Kommentar zu den Abschnitten von 4,13 bis 18 und 5,1 bis 28 (Ende):
Für die Beschreibung der Einholung der Christen durch den Auferstandenen in den Versen 4,16f. ist noch zu bemerken, daß Paulus hier das antike Weltbild voraussetzt, nach dem sich »der Himmel« wie eine Kuppel mit verschiedenen Gewölbeschichten über der Erdscheibe wölbt, und daß sich jenseits dieser Gewölbekuppel der »theologische Himmel« befindet, wo sich Gott, die Engel und die Gerechten der vorchristlichen und der christlichen Zeit befinden (vgl. dazu die Beschreibung von Erde und Himmel in der Offenbarung des Johannes, bes. Offb 4,1 — 5,14; Kp. 10; 12,1—17; 19,11—21; 20,11 — 21,4). Die Toten aber befinden sich in der sog. Unterwelt, einem riesigen, gewölbeartigen Raum, in dem die Frommen und Guten bereits von den Bösen geschieden sind (vgl. Lk 16,23—26). Der Sinn der Einholung der toten und der noch lebenden Christen am Endtag liegt darin, diese dem Vorgang des Zusammenbruchs der alten Schöpfung zu entreißen.
Diese Aussage gilt es ihrer weltbildverhafteten Darstellungselemente zu entkleiden. Dann wird deutlich, was Paulus durch diesen Abschnitt den Christen heute zu sagen hat: Christus, der Herr, »kennt die Seinen« und sorgt dafür, daß niemand und nichts sie aus seiner Liebe und Lebensgemeinschaft wegreißen kann. Er wird die, die durch Glaube und Taufe ihm zugehören, in allen Katastrophen und Bedrohungen wunderbar bewahren und schützen und sie zur vollen Teilhabe an seinem göttlichen Leben führen. Das ist eine tröstliche Botschaft gerade in einer Zeit, die im Schattenungeheuerlicher Vernichtungswaffen lebt. Die Liebe und Sorge des Auferstandenen ist mächtiger als alles, was der Mensch an Mordwaffen zu ersinnen und zum Einsatz zu bringen vermag.
3. Aufforderung zur Bereitschaft für den Tag des Herrn (5,1—11)
Veranlaßt durch eine weitere Anfrage der Christen in Thessalonich, belehrt Paulus über das rechte Verhalten gegenüber dem Kommen Jesu Christi »am Tag des Herrn« (5,1). Der Begriffstammt aus dem Alten Testament und bezeichnet dort den Tag des endgültigen Gerichts Gottes über die Menschen und Völker vor der verheißenen endgültigen Heilszeit, da Gott allein in der Welt herrschen und alles Böse beseitigen wird. Das Neue Testament versteht unter diesem Begriff das allgemeine Gericht über alle Menschen, die Toten und die Lebenden, das Jesus Christus, der auferstandene Herr, im Auftrag Gottes durchführen wird (vgl. Mt25,31—46; 26,64; Joh 5,22f). Deshalb wird dieser Gerichtstag bei Paulus auch »der Tag Jesu, des Herrn« genannt (1 Kor 1,8; 2 Kor 1,14) oder »der Tag des Herrn« (1 Kor 5,5) oder »der Tag Christi Jesu« (Phil 1,6) bzw. »der Tag Christi« (Phil 1,10; 2,16).
Paulus weist zunächst unter Verwendung des Herrenwortes vom Kommen dieses Tages wie ein Dieb in der Nacht (Mt 24,43 f.; Lk I2,39f.; vgl. Offb 3,3; 16,15; 2Petr 3,10) darauf hin, daßdieser Termin nicht berechenbar ist. Im Gegenteil, plötzlich und unerwartet wird Christi Kommen die Welt in die Krise stürzen. Da die Christen dies wissen und bereits mit dem Herrn in einer Lebens- und Schicksalsgemeinschaft stehen, können sie zielbewußt auf diesen Zeitpunkt hin leben.
Als Söhne des Lichts, d.h. der göttlichen Wahrheit und des Lebens (vgl. Mt 5,14; Lk 8,16), sollen sie so leben, daß das Kommen Christi ihnen nicht zum Gericht,sondern zum ewigen Leben gereicht. Dazu fordert Paulus mit verschiedenen Bildmotiven in den Versen 5,6—8 auf: wachsam sein, nüchtern sein, die Waffen des Lichts gebrauchen im Kampf des Lebens, das heißt Glaube, Hoffnung und Liebe(vgl. dazu 1,3; zum Bild vom Wachen vgl. Rom 13,11; zum Motiv von der Waffenrüstung des Glaubenskampfes vgl. Jes 59,17: »Panzer der Gerechtigkeit; Helm des Heiles«; Weish 5,18f.; Eph 6,14—17; zur gesamten Gedankenführung vgl. Lk 21,34—36). Durch die Wehen der Endkrise hindurch wird die endgültige Schöpfungsordnung geboren werden (vgl. Rom 8,22; Mk 13,8).
In diesem Zusammenhang versichert Paulus den Gläubigen, daß Gott sie durch Jesus Christus retten und vollenden will. Dafür ist der Sohn Gottes gestorben und auferstanden (5,9 f.). Deshalb dürfen die Christen voll Zuversicht dem Tag des Herrn entgegenleben. Im Zusammenhang dieser Aussage ist der Nachsatz: »ob wir wachen oder schlafen« (4,10) im übertragenen Sinn zu verstehen, also: ob wir bereits verstorben oder noch am Leben sind beider Ankunft Christi.
An diesen Ausführungen wird deutlich, daß die Ausrichtung der Gläubigen auf die im Glauben verheißene, durch die Auferstehung erschlossene endgültige Zukunft bei Gott, sie nicht ihrer Aufgaben in der Welt entfremdet, sondern sie vielmehr auf ihre Verantwortung in der Welt verweist, sie zugleich aber tröstet und bestärkt, an dieser Welt nicht zu verzweifeln, da Gott durch Christus alle Menschen retten will. So erst kann der Christ in rechter Weise diese Welt lieben und zugleich übersteigen.
Nur wer an eine endgültig gute Zukunft der Welt glaubt, kann sich gewissenhaft in den Dienst dieser Welt stellen. Nur wer an die Zukunftsverheißungen Gottes glaubt, wird weder dieser Welt verfallen noch ihr entfliehen. Der christliche Glaube an Gottes Heilswillen, seine Liebe und Treue befähigt daher erst zu einem verantwortungsbewußten, einsatzbereiten und hoffnungsvollen Leben in dieser Welt.
Autor: Professor Otto Knoch